Archiv für den Monat: August 2006

…auch nur Menschen

Das Rotfell hatte einen Cinquecento, meine Schwester einen Bambino, ein Schulfreund seinen Panda, Bruce hatte einen grünen Seat Marbella und ich, ich hatte meinen VW Derby. Er war gelb mit einem unverwechselbaren schwarzen unteren Rand. Er war mein erster Wagen als ich mit 18 den Führerschein hatte und er musste einfach zu mir passen, weil er und ich nicht nur im gleichen Jahr, sondern auch im gleichen Monat gebaut wurden. Er war unglaublich zuverlässlich, sprang immer an, auch wenn er mangels Garage im tiefsten Winter durchgefroren war, einmal den Schlüssel umgedreht und er war bereit und arbeitswillig.

Er hatte seinen eigenen Geruch, wie ihn jeder von uns auch hat. Manchmal meinte er es mit seinem Duft etwas zu gut, lenkte vieles davon in den Innenraum und man bekam leichte Räusche von dem benzinhaltigen Dampf. Er meinte es natürlich nur gut. Leider half dieser Geruch nicht, die im Winter von innen angefrorenen Scheiben frei zu machen, ein Kratzer musste immer auf dem Beifahrersitz liegen.

Eine seiner besondersten Besonderheiten war, dass er sich Tage gönnte, in denen er den ersten Gang pausieren ließ, und bisweilen genehmigte er sogar dem zweiten Gang eine größere Pause. Das bedeutete, dass man häufig dazu gezwungen war, im dritten Gang anzufahren. Bei einem 4-Gang-Getriebe nicht die einfachste Aufgabe. Da wir uns aber gegenseitig so gut kannten, zeigte er mir das außergewöhnliche Spiel der Abstimmung zwischen Gas und Kupplung, so dass ich das hinbekam. Für viele Fremdfahrer, die sich meinen Derby ausleihen wollten, war das aber ein großes Verhängnis. Er war eben nur für mich gedacht!

Als wir dann beide mitten im 20. Lebensjahr waren, da mussten sich unsere Wege leider trennen. Ich ging in die USA und er sollte eigentlich zum TÜV. Allerdings war dieser Weg ohne Aussicht auf Erfolg aufgrund ungeheurer Bodendurchrostung und so fuhr ich mit ihm nochmal ins Grüne zum Großen Abschied. Er wurde dann verwertet und ich bin mir sicher, dass Teile von ihm noch ein gutes Werk in vielen anderen Fahrzeugen tun.

Er lebt weiter – das letzte Bild:

derby+iwi

Leben

Zwei Nachrichten, die kurz nacheinander eingetroffen sind. Zwei Nachrichten, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, die von Ereignissen berichten, die hunderte von Kilometern auseinander liegen. Zwei Nachrichten, die beide positiv sind, die beide mit Leben zu tun haben, die eine verlautet das Ende, die andere den Anfang und so findet ein Austausch statt, der hier auf eine ganz eigene Art doch Zusammenhänge zu bergen scheint.

Bad end of S.

S. ist ein Mann von etwas über 30 Jahren. Das sieht man ihm nicht an, man kann übergaupt schwer sein Alter schätzen, aber er sieht gerade sehr viel älter aus. Er hat Krebs und steht kurz vor seinem Ableben. Die Gewissheit, dass er sterben wird, die hat er schon ein knappes Jahr lang, seit einigen Monaten kann er sich auch so gut wie gar nicht mehr selbständig bewegen, ist bettlägrig und wartet. Es ist ein einziges, ein großes Warten, ein Hoffen, dass er diese Schmerzen bald nicht mehr ertragen muss und auch dieses lästig gewordene Leben, wenn diese Bezeichnung überhaupt noch gerechtfertigt ist. S. wird immer häufiger von Hustenanfällen geplagt, die offensichtlich zum Ersticken führen würden. Das würden sie vielleicht wirklich, wenn nicht immer kurz zuvor doch wieder eingegriffen würde. Da gibt es Mittel, die dieses Warten noch verlängern. Er wird dann ins Krankenhaus gebracht, bis er wieder soweit hergestellt ist, dass er zurück in sein Bett zu Hause entlassen werden kann. Jeder weiss, dass ein solcher Anfall wieder kommen wird und dass S. dann wieder ins Krankenhaus muss, um nochmal – vollgestopft mit Morphium und zig anderen Chemikalien – aufgepeppt zu werden.
Dieses (Ab)Leben wird bestimmt und einer wird dabei gar nicht gefragt: S. Er ist mittlerweile immer mehr von seinen Freunden, auch seiner Familie enttäuscht. Wenn man ihm gegnüber in irgend einer Form zum Ausdruck bringt, dass man ihn mag, dann nimmt er dies nicht mehr an. Wenn das so wäre, dann würde man ihm seinen Wunsch gewähren. Er will nicht ins Krankenhaus, er will endlich zu Hause bleiben und wenn es soweit ist, dass er eigentlich sterben soll, dann will er das zulassen. Doch ist die Mutter zu schwach wenn sie ihn sich zu Tode husten sieht. Sie ruft den Arzt. Dieser ist natürlich nicht mehr in der Lage, dies aus seinem Notarztköfferchen zu lindern und verweist ihn ins Krankenhaus, immer und immer wieder. S. muss sich der Bestimmung anderer über sein Leben fügen, er ist zu schwach, sich zu wehren, kann nicht, wie jeder andere körperlich gesunde Mensch selbst dafür sorgen, dass sein Leben ein Ende hat. Wenn er könnte, so hätte er sicherlich schon längst…
Weniger Rechte, über sich selbst zu bestimmen. Obwohl ihm jeder vernünftige Mensch in seinem Umfeld ein baldiges Ende wünscht wird er weiter entmündigt und irgendwas, irgendwer, etwas nicht greifbares widerspricht und hat mehr Macht.

Das ist nicht fair!

edit: er hat es geschafft: er ist zu Hause und nimmt Abschied…

Zauberkondom

Weil mein Kommentar hier verlorenging, lade ich die Geschichte eben hier ab:

Es geht um die Schwierigkeit, den Menschen in von Aids stark betroffenen Ländern zum einen die Gefahr an sich klar zu machen und zum anderen Wege zu zeigen, die Infektionsgefahr zu minimieren.

Sterben ist in vielen Entwicklungsländern nicht unbedingt etwas besonderes. Häufig sind es Menschen durch Krankheiten (auch ohne Aids) oder durch ‚Kleinkriminalität‘ (z.B. Raubmord für aus unserer Sicht fast wertlose Gegenstände) beinahe schon gewohnt, einen Großteil der Verwandtschaft oder des Freundeskreises oft schon frühzeitig zu verlieren. Und dann kommt die Welt plötzlich und will sie von der Gefahr einer Krankheit überzeugen, die es wahrscheinlich schon seit sehr langer Zeit gibt, die jetzt einfach nur besser erforscht wird. Neues Bewusstsein muss geschaffen werden – schwierig …

Soviel zu meiner Spekulation. Ich hatte vor einigen Jahren einen Bekannten, der als Entwicklungshelfer in Afrika unterwegs war und dort einige Zeit mit der Aufklärung über Aids beschäftigt war. Er erzählte von einem Versuch, den Gebrauch des Kondomes zu erläutern. Sie schafften es, einen Großteil des Dorfes zu versammeln und haben die ganze Sache erklärt und auch veranschaulicht. Natürlich hat es niemand gewagt, seinen Penis zur Schau zu stellen, und so wurde ersatzweise ein Stock verwendet, über den dann das Kondom gezzogen wurde. Vielleicht haben sie es nicht richtig übermittelt oder vielleicht ist dort einfach nur der Glaube an Mystisches und Magisches zu hoch, aber sie erfuhren später, dass Menschen während des Geschlechtsverkehrs neben dem Bett einen Stock hatten, dessen Ende durch ein Kondom geschützt wurde.

Schwierig schwierig schwierig…

Bedingtes Nebeneinander

Wo große Freude sein kann, da kann auch große Angst sein. Wahrscheinlich ist nur deshalb große Freude möglich, weil die große Angst auch möglich ist und auch umgekehrt. Gegenseitige Bedingung – das fiel mir gerade so auf, als ich mir die letzten beiden Posts hier nochmal vergegenwärtigt hab.

Alle Daumen der Welt!

Eine liebe Freundin, die auf Mallorca lebt, hat ein Töchterchen bekommen. Heute sollten die beiden aus dem Krankenhaus nach Hause gehen, doch wurde eine nicht ungefährliche Infektion bei der Kleinen (die 4 Wochen zu früh dran war) festgestellt mit sehr schlechten Blutwerten. Sie muss jetzt noch einige Zeit im Brutkasten verbringen und die nächsten Tage werden bedeutend sein.

Drückt Klara die Daumen!

edit: Sie hat es geschafft: Die eine Blutkonserve, die große Hoffnung in sich trug, die hat sie jetzt doch angenommen und ihr Zustand hat sich derart gebessert, dass sie endlich nach Hause durfte und jetzt in der warmen Umgebung ihrer Eltern alle glücklich macht! Yeah!

kleine Marie

Zwischendurch fällt es ihr immer mal wieder ein. Und dann will sie es unbedingt. Das bedeutet nicht, dass sie dann unbedingt länger als 5 Minuten gefesselt wäre, aber sie hat den momentanen großen Wunsch! Sie, das ist meine mittlerweile 3-jährige Nichte Marie, und wenn sie diesen Wunsch hat, dann sagt sie immer, sie wolle die ‚kleine Marie schauen‘. Mein Vater muss dann die Videokassette suchen, auf der die ersten Aufzeichnungen von Marie in diesem Leben sind. In einem solchen Moment würde ich zu gerne in ihren kleinen Kopf schlüpfen, und herausfinden, was sie dabei denkt bzw. fühlt, was genau ihre Motivation ist, was sie so stark an diese Aufnahmen bindet.

kleine Marie

Schöne mysteriöse Kinderwelt

Show auf dem öffentlichen Männerklo

Wir sind zu dritt in dieser genüsslichen Anstalt. Der eine, der schon am längsten da war und daher auch als erster wieder geht, meint so beiläufig, während er gen Waschbecken schreitet: „Mein Arzt meinte, ich solle am besten gar nicht mehr aufs Klo gehen…“ – jetzt eine kurze gestalterische Pasue. Der außer mir auch noch beschäftigte und ich heben die Köpfe und schauen uns an, in der Hoffnung, zu sehen, dass jeweils der andere angesprochen war, jedoch waren wir beide gleichermaßen verwundert. Dies war dem Unterhalter genug Aufmerksamkeit und er fuhr fort: „…weil ich nicht mehr schwer heben darf!“
Trotz der darstellerischen Rafinesse: Er konnte keinem von uns auch nur ein Schmunzeln ablocken. Nur jetzt im Nachhinein muss ich über diese Situation lachen.

Unumgehbarer Umgang

Wie denken sie denn? Ihre Welt ist sehr eigen, sehr! Dort ist es nicht vorgesehen, sich auseinandersetzen zu müssen, dort gibt es keine Kritik, weder in ankommender, noch in abgehender Form. Alles ist immer gut, muss immer gut sein, immer grün, immer nur lächelnd und schön, aber – oh Schreck – das ist es nicht! Wie eigen sie auch sein mögen, sie sind durch das Leben verpflichtet zu interagieren und so sehr sie auch die Augen zukneifen, sie erleben es doch immer wieder: sie werden kritisiert, sie müssen selbst kritisieren, ihnen wird nicht nur zugelächelt und per se alles in die Hand gelegt, sie sind gefordert, vor der Welt und vor sich selbst.

Alles normal? Tja, eigentlich schon, aber nicht für sie. Sie werfen alles von sich, wenn das Leben sie mit einer Böe erwischt. Natürlich ist jeder in der Situation, mal alles von sich schmeißen zu wollen, aber das braucht sonst entweder tausende Böen oder ein furchtbares Gewitter. Bei diesen aber ist es oft nur ein Hauch und daher schmeißen sie ihr Leben andauernd hin. Wöchentlich, beizeiten auch sogar täglich. Dann sehen sie da etwas vor sich liegen, das auch schöne Seiten hat und greifen es wieder auf, bis zum nächsten Hauch/Tag.

Schwierig der Umgang. Wegen des hohen Wertes derer ist kein Ignorieren möglich, hier kommt ein Sturm, der mich/uns herausfordert.

Jetzt aber erst mal alles hinschmeißen und da hinein:

schaumbad