Archiv der Kategorie: menschlich

Eiszeit

Ich bin wieder zurück gekehrt und trotz bester Wünsche dagegen (Gruß nach Lanzendorf) hat sich doch ein Kälteschock eingestellt. Der Übergang von Tiefstthemperaturen nachts um die 20 Grad Celsius zu hier ist einfach schwer wegzustecken. Ich heize gerade wie selten zuvor und friere dennoch. Trotzdem: es wird besser und bald kann ich bestimmt wieder meine Finger so weit durchbluten, dass ich hier mehr von Malaysia berichten kann…

Bis dahin grüßt dieser kleine Freund aus dem Regenwald:

Wo ist Gott?

Was ein Titel, fällt mir grad so auf, aber ich lass ihn stehn…

Ich hatte die Tage mal so einen Moment, in dem mir etwas eigentlich übliches und längst gewohntes plötzlich gar nicht mehr so selbstverständlich vorkam, und zwar die Grußformel „grüß Gott!“ In Verbindung mit einer eher albernen Antwort, die hierzulande des öfteren darauf gegeben wird: „Ja wenn i nan säch!“ kamen mir diese Gedanken.

Es ist ja letztlich wirklich so, dass man nach dem Tod laut Christentum nicht weg ist, sondern in das Reich Gottes kommt. Wenn man diesen Gruß dann wirklich wörtlich nimmt, dann ist das ja eigentlich eine Aufforderung, die erst erfüllbar ist, wenn man das Zeitliche gesegnet hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass dieser Gruß auf dieser Basis entstanden ist. Viel eher stelle ich mir vor, dass an die Situation des Gebets gedacht wird oder wurde. Wer betet, der ist Gott nahe, mit ihm verbunden, und könnte in dieser Situation mal nen Gruß rüberschicken, da freut er sich doch dann bestimmt darüber.

Auch wenn ich vor ca. 20 Jahren in meinem damals zarten Alter ein eifriger Ministrant war, so bin ich jetzt alles andere als ein gläubiger Christ im klassischen Sinn. Ich habe mir lange genug darüber Gedanken gemacht und habe meine eigene Version von Religion und finde auch, dass da jeder Mensch ebenso seine eigene haben sollte. Allein deshalb habe ich bereits Schwierigkeiten, hinter den großen Religionen zu stehen…aber ich schweife ab, das ist ein anderes Thema. Jedenfalls ist es in meiner Überzeugung so, dass dieses etwas, was viele als Gott bezeichnen ausschließlich eine Kraft oder Energie in einem selbst ist. Es gibt so viele Götter, wie es Menschen gibt, und wenn ein Mensch mehrere hat, dann ist das auch gut. Aus dieser Überzeugung wieder zurück zum ‚grüß Gott‘ fiel mir auf, dass einige diesen Gruß durch ein Wort erweitern und ‚grüß dich Gott‘ sagen! ‚Grüß Gott‘ könnte also nur eine verkürzte Version davon sein und dieser ausführliche Griß impliziert ja eigentlich auch die Annahme, die ich für mich gefunden habe. Ich weiß natürlich, dass das keine neuartige Ansicht von mir ist, ganz im Gegenteil, und daher könnte da schon ein Zusammenhang bestehen, der mir folglich viel besser gefällt.

Ein anderer Mensch hat seine eigene Welt, die er um sich herum geschaffen hat, ist (s)ein eigener Gott und somit eine eigene und neue (je nach Intensität der Bekanntschaft) Erfahrung. Dieser Mensch und seine Welt sind es wert durch dieses ‚grüß (dich) Gott‘ gegrüßt zu werden und schon kann ich mehr damit anfangen als das bisherige einfach dahingeplappere.

Weitere Theorien?? Her damit!

Fokusse und Krokusse

Damit meine Leserschaft ein wenig weiß, womit ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe und warum ich vielleicht nicht viel Niederschreibenswertes sammeln konnte, will ich ein oder vielleicht werdens auch zwei Problemstellungen wie sie mich seit vielen Tagen überkommen, wiedergeben:

Aufgabe:

„Ich habe 3 Variablen x, y, z
Jede dieser Variablen kann die Werte 0, 1, 2, n annehmen
Die Obere Grenze n soll der Anwender bestimmen können, aber bleiben wir erstmal bei 0-2

So und jetzt möchte ich alle möglichen Kombinationen dieser drei Variablen nacheinander ausgegeben haben.

Etwas Vorarbeit habe ich schon geleistet. Und zwar habe ich eine Zähllogik entwickelt. Wie man sämtliche Kombinationen erhält, aber die php-Umsetzung weiß ich eben noch nicht so recht.

Hier jedenfalls mal die Kombinationen für 0-2:

Xyz
000
001
002
010
011
012
020
021
022
100
101
102
100
101
102
110
111
112
120
121
122
200
201
202
210
211
212
220
221
222″

Ja und die php-Umsetzung hat mich – stellt euch vor – sehr gereizt und ich hatte Spaß an der Aufgabe!

Weiteres aus den Anforderungen eines Anfängers bei der Schaffung einer Website:

Wie kriege ich mein Gästebuch so hin, dass ich Daten wie E-Mail-Adresse und eventuell vorhandene Website-URL zwar aufnehmen und dann in Klammern nach dem Namen wiedergebe, wenn aber der User nur eins oder keins davon angibt, dann sollen auch die leeren Klammern nicht erscheinen. Klingt alles so easy wenn ich das hier hinschreib… Naja, wahrscheinlich alles ne Frage des Erfahrungslevels des Programmierers.

Aber viel interessanter: wusstet ihr, dass der Amsel (also das Amselmännchen) beim Anblick gelb aufblühender Krokusse aggressiv reagiert?? Sagen die hier, und das werd ich für die Bepflanzung meines nächsten Gartens im Hinterstübchen behalten.

Schutzbedürftige Bande

Schutz um des Schutzes Willen: Mein Opa mag seine Jacken nicht an dem dafür vorgesehen Bändchen an Haken hängen, weil er befürchtet, dieses meist sehr schwächliche Bändchen könnte abreißen. Daher hängt er seine Jacken immer entweder auf einen Bügel oder auf einen Stuhl oder dergleichen. Eine gute Vorsichtsmaßnahme, denn nicht auszudenken, was er denn täte, würde dieses Bändchen einmal nicht mehr da sein!

Grandpa-Power

Neulich hat mein Opa mal wieder ein Thema angesprochen, über das er sich einfach aussprechen musste. Er hatte Grund, sich etwas zu ärgern und zwar über die Politiker. Genauer gesagt, über Herrn Trittin und dessen Energiepolitik bzw. seine Vorstellung und seine Vision – in meines Opas Augen eher eine große Dystopie – über die Stromversorgung in Deutschlands Zukunft.

Zwar wurde schnell klar, dass er die Reduzierung der Atomkraftwerke und gar deren eventuelle Abschaffung in fernen Zeiten total ablehnt, aber mit den Gründen für seine Haltung hielt er lange Zeit hinterm Berg. Durch wiederholtes Nachfragen wurde diese Frage aber schließlich beantwortet und es wirkte so, als ob er diese Antwort für überflüssig gehalten hatte, denn eigentlich weiß es doch jeder: „Strom kann man nur entweder mit Kohlekraftwerken oder Atomkraftwerken herstellen!“ Jouu! Ich habe natürlich versucht, ihn etwas aufzuklären, aber wie es bei den Ohren eines älteren Mannes so ist: viel bewirken konnte ich glaub ich nicht, auch wenn wir lange darüber geredet haben. Interessant nur, dass er überhaupt diesen obigen Satz sagen konnte.

Umso lustiger, als er dann einige Tage später mit Oma hier war und wir zusammen einige Bilder von Australien, wo ich vor kurzem einige Zeit war, anschauten. Da tauchten doch plötzlich auf einem Bild zwei Windräder auf. Was war er da überrascht: „War der Trittin auch schon dort? Nein im Ernst, haben die auch so was??“ Er war sichtlich vor den Kopf geschlagen. Hatte er doch gedacht, dass Deutschland sich unter Trittins Einfluss als einziges Land auf diese schiefe Bahn begibt.

Welten können ja so verschieden sein!

Die kleine Freude

Es ist finstere Nacht, ein Mann steht allein neben der schweren Eingangstür eines Gasthauses. Durch die Fenster fällt ein gelber Lichtschein auf den Boden vor ihm. Er steht da schon einige Minuten und auf einmal kommen viele Leute durch die Tür nach draußen. Einige gehen einfach an ihm vorbei, andere schütteln ihm die Hand. Er grinst und sagt etwas, die Leute gehen weiter.

Es herrscht reger Verkehr. Manch einer geht wieder hinein, kommt gleich wieder heraus, die Tür steht nicht mehr still. Draußen bilden sich Grüppchen, aber der Mann, der als einziger alleine für sich steht, beobachtet das Geschehen um sich herum nicht wirklich. Außerdem ist er beschäftigt. Neben sich hat er eine große Tüte auf dem Boden stehen. Einigen von denen, die ihm die Hand geben, schenkt er daraus ein Päckchen. Und wenn er nicht gestört wird, dann nimmt er selbst kleine Päckchen aus dieser Tüte, macht diese auf und zündet stangenartige Pappknäuel an und schmeißt sie schnell weg. Kurz darauf knallt es laut, aber der Mann ist bereits mit dem nächsten Griff in die Tüte oder in das kleine Päckchen zugange und zündet den nächsten Knaller an. Vielleicht ist er deshalb schon vor allen anderen nach draußen gegangen, weil er so viel zu tun hat und nicht zu lange da stehen will, oder aber vielleicht auch, weil seine Knaller jetzt unter dem Lärm der anderen fast untergehen.

Als alle bereits wieder hineingehen … „Ein gesundes Neues“ … sagen jetzt auch die noch, die zuvor noch nicht mit ihm geredet haben … ist er immer noch nicht fertig. Aber er freut sich über jeden Glückwunsch, der ihm geschenkt wird, doch jetzt ist niemand mehr an seinen Geschenken interessiert.

Frühling und Herbst

In meiner Nachbarschaft wohnt ein kleiner Junge, na ja so etwa elf oder zwölf Jahre wird er sein, der in der ebenfalls nahe gelegenen Klosterkirche ministrieren geht. Er sagt, er macht das gerne und hat es schon gerne tun wollen, bevor er es überhaupt durfte, also vor seiner Erstkommunion. Aber als es dann soweit war, da war er nicht mehr zu halten und ministrierte sehr viel. Es wird immer aufgeschrieben, wer wann gedient hat und am Ende des Jahres gibt es dann je nach Leistung größere oder kleinere Weihnachtsgeschenke. Stolz hat er mir erzählt, dass er in einem Jahr mit 372 Gottesdiensten nicht mehr zu schlagen war.

Natürlich kennt er auch – zumindest vom Sehen – die meisten Stammbesucher. Besonders diejenigen prägen sich ihm gut ein, die in den frühmorgendlichen Wochentagsmessen in den spärlich besetzten Bänken sitzen. Oft bietet sich ihm dabei taglang das immer gleiche Bild wenn er von seinem rot gepolsterten Stühlchen neben dem Priester sitzt und nach unten sieht. In der ersten Reihe in der von ihm aus rechten Seite sitzt immer ein alter Mann, der nur mehr sehr langsam gehen kann und mal ein Kissen mitgebracht hat, damit er weicher sitzt. Wenn nach der Messe die Kirche leer ist und Max noch Kelch und Hostienschale in die Sakristei bringen muss und die kircheneigenen Gebetbücher einsammelt und in die Holzkiste am Eingang sortiert, dann ist dieses an den Nagel vor des alten Mannes Platz hängende Kissen das einzige, das durch sein sanftes Baumeln daran erinnert, dass vor kurzem noch jemand hier war. So sieht nicht nur Max die fleißigen Kirchenbesucher, sondern diese auch den fleißigsten Ministranten des Klosters. Stillschweigend bewundern sich die beiden Seiten gegenseitig, wenn auch auf eine sehr unterschiedliche Art.

Unter der Woche geht Max nach der Messe direkt in die Schule, nur an den Wochenenden und während den Ferien geht’s nach Hause. Und an einem solchen Tag muss es passiert sein, dass er den langsamen, alten Mann eingeholt hat, denn auch dieser wohnt nicht weit von hier und Max hat vor kurzem erst erfahren, dass er immer an dessen Haus vorbeilief. Da er ihn ja gewissermaßen kannte, grüßte er und der Alte grüßte zurück. Er hat eine etwas heisere Stimme, wirkte aber gleich sehr freundlich auf Max. Dies ging einige Male so, bis eines Tages der alte Mann nach der Begrüßung den Jungen daran hinderte zügig weiterzugehen, indem er ihn fragte, wie ihm die Messe gefallen habe. An diesem Tag war Hochamt, also eine Sonntagsmesse mit Predigt. Max gab eine etwas verlegene und knappe positive Antwort. Da er aber schon sein Gehtempo dem alten Mann angepasst hatte, wollte er nicht gleich wieder beschleunigen und stellte die Gegenfrage. Ihm habe sie auch sehr gut gefallen, meinte der Alte, nur dass er mit der Predigt ein Problem hatte. Er habe sie schlicht nicht verstanden. Eine kurze Schnaufpause machte Max deutlich, dass er sie auch nicht erklären könnte, denn eigentlich hatte er sie auch nicht verstanden. Für so alte Menschen wie ihn, meinte der Mann, seien so lange und auch komplizierte Predigten einfach nichts mehr. Max wusste nicht so richtig, was er danach noch sagen sollte und nach ein paar Schritten verabschiedete er sich und war froh, als der Alte ganz lieb meinte, er solle ruhig gehen und brauche wirklich nicht mit ihm in diesem Schneckentempo nach Hause schleichen.

Seit dann führten die beiden jedes Mal, wenn sie sich begegneten, ein kurzes Gespräch, manchmal auch etwas längere und Max erfuhr, wo der alte Mann seine Wohnung hat und auch, dass er Herr Steinmetz heißt. Die Gespräche wurden immer etwas länger und auch traute sich Max immer mehr Fragen zu stellen. Etwa wollte er wissen, ob sein alter Wegkumpane früher als Steinmetz gearbeitet hat. Oder warum er so hohe Absätze an seinen Schuhen hat. Herr Steinmetz beantwortete Max nicht nur seine Fragen, er erzählte ihm auch sonst immer recht viel. Wenn ich Max aber fragte, wovon Herr Steinmetz denn erzählt, wusste er immer nicht so genau, was es eigentlich war. Als ich wissen wollte, ob er es denn schlicht vergessen würde, wurde Max etwas rot im Gesicht und zuckte mit seinen Schultern.

Aber es gefalle ihm sehr gut mit Herrn Steinmetz und mittlerweile geht er auch schon öfters mit ihm in seine Wohnung. Dieser zeigt ihm dann verschiedene Heiligenbilder, es riecht immer recht streng nach irgendeiner Creme, mit der man sich einreiben kann, um seinen Husten wegzubekommen und jetzt in der Weihnachtszeit gibt Herr Steinmetz dem Max auch jedes Mal einen Lebkuchen mit. Immer ist es einer von den braunen, dabei mag er doch die weißen am liebsten, aber er sagt nichts, bedankt sich und Herr Steinmetz lächelt glücklich.

Max gefällt es bei Herrn Steinmetz so gut, dass er schon nach jedem Ministrieren darauf hofft, ihn zu treffen. Ein paar Tage vor Weihnachten war vom ersten Moment der Messe an ein komisches Gefühl in Max’ Bauch: Der Platz seines Freundes war leer und das Kissen hing so an dem Haken, als würde es jemand anders dort vergessen haben. Diese halbe Stunde war eine der längsten, die Max erlebt hatte, denn er beschloss sofort, als er sah, dass Herr Steinmetz fehlte, auf dem Heimweg bei ihm zu klingeln und nachzusehen, warum er nicht da ist. Wie beruhigt war er, als Herr Steinmetz die Türe öffnete und ihm mit ganz ruhiger Stimmer erklärte, er habe heute ersatzweise zu Hause einen Rosenkranz gebetet und sei deshalb nicht in die Kirche gegangen, weil er nicht gehen könne, da der Boden gefroren und spiegelglatt ist. Daran hatte Max gar nicht gedacht, dass die alten, doch sehr ungeschickten und etwas lahmen Beine des Herrn Steinmetz mit diesem Bodenfrost ihre Probleme hatten. Da war der Tag wieder in Ordnung.

Als ich Max einmal fragte, warum genau er eigentlich so gerne bei Herrn Steinmetz sei, schaute er mich mit großen Augen und einem glücklichen Gesicht an, und sagte, so als sei er stolz, die Antwort zu wissen: „Ich weiß nicht!“

Mäuseblick

Gehen auch Mäuse auf die Straße, um gesehen zu werden? Gehen sie auch mit den Augen der Anderen aus und sehen nur sich? Sehen aber selbst nicht, oder denken, selbst nicht zu sehen obwohl ja doch nur sie sehen und werden darum nie richtig sehen, weil ihn jegliche Perspektive fehlt? Oder ist dieses Sehen die einzige Art, die es gibt? Gibt es nur ein aus den Augen gegebenes Sehen? Und wer die Augen von Mäusen schon mal aus der Nähe gesehen hat, der kann sich das jetzt sogar physisch vorstellen.

Aber Spaß beiseite: Wie viel hat etwa Partnerschaft mit dieser Art des Sehens zu tun? Leben Mäuse nicht in einer visuellen Welt, in der das Auge zählt, bestimmt und formt? Ist dies ein glücklicher Umstand, wird das Leben dadurch einfacher, weil einspuriger? Und wenn sie dann zu zweit auf die Straße gehen, wie sehr sehen sie dann ihren Begleiter als sich selbst, wie sehr verschmelzen sie in ihrem eigenen Blick, der ja der Blick der anderen zu sein meint, zumindest in ihren eigenen Augen? Gut so, denn wie leicht können sie sich selbst dadurch verändern, dass sie bestimmen, neben wem sie herlaufen?

Ein anderes Beispiel: wie sehr hängt Überleben mit diesem Sehen zusammen? Eine grausame Unachtsamkeit, eine unangebrachte Unsicherheit, ein falsch abgeschätztes Tempo…wie gefährlich kann dies sein? Ist dieser Gefahrenbereich nicht abgewandt, wenn sich die Maus klar sieht und nicht krampfhaft den richtigen Blickwinkel auf sich selbst suchen muss? Und was verhilft zu diesem klaren Blick? Der tiefe Atem? Der aufrechte Gang? Die Kraft in der Brust?

Fragen, die die Nacht nicht braucht. (Warum zum Beispiel bin ich eine Maus?)

Geschichten von den Toten von den Lebenden

„Hier stehe ich und kann nicht anders!“ oder „Wenn ich wüsste, dass die Welt morgen unterginge, würde ich heut ein Apfelbäumchen pflanzen.“ oder auch: „Was rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmecket?“ … dies sind alles Aussagen, die man Martin Luther zuschreibt. Und genau dadurch, dass sie von einer solchen Persönlichkeit stammen sollen, werden sie salonfähig. Wenn also eine Aussage eigentlich unpassend, unrüchig oder sonstwie unschicklich wäre, dadurch dass der Sprecher sich einer Autorität bedient, brüstet er sich gleichzeitig mit gewisser Bildung und braucht sich nicht mehr zu rechtfertigen.

Froh über die Möglichkeit, sich auf einen großen Geist zu beziehen, sind bestimmt auch einige Schüler, die wissen, dass Einstein selbst schlecht in der Schule gewesen war. Es ist unbestreitbar hilfreich, Gewissheit darüber zu haben, dass schlechte Schulnoten nicht mit Dummheit gleichzusetzen sind.

Pazifisten bedienen sich gerne des Brecht-Zitats: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin!“ oder Extremisten von der anderen Seite, die auch mal herauskehren wollen, dass der nasenbreit-schnauzbarttragende Diktator der dunklen Vergangenheit Deutschlands auch Gutes für unser Land getan habe, berufen sich etwa darauf, dass er die erste deutsche Autobahn gebaut habe und durch ihn Deutschland mit Schnellstraßen und gleichzeitig mit Arbeitsplätzen ausgestattet wurde.

Aber all das, Luther, Brecht, Einstein, Hitler… alles falsch! Es war ganz anders und stimmt so nicht! Luther und Brecht haben das nie gesagt, auch zu Brechts Einstellung passt dieses Zitat und dessen Auslegung überhaupt nicht, ebenso war Einstein ein guter Schüler und Hitler hat erstens nicht die erste Autobahn gebaut und auch nicht sonderlich viele Arbeitsplätze damit geschaffen, so ja auch die Mär von der Vollbeschäftigung zu Hitlers Zeit längst als solche enttarnt worden ist, aber die propagandistische Darstellung dieser Leistungen hat sich wohl tief eingeprägt und einige Menschen glauben noch immer daran.

Besonders schwach ist, dass derartige Gerüchte nicht nur vom deutschen Michel angenommen werden, sondern auch von seriös anmutenden Menschen. So hat etwa die Wirtschaftsredakteurin der New York Times, Dava Sobel (die ich hier auf keinen Fall schlecht machen will, hat zumindest schon ein tolles Buch geschrieben!), in ihrem Buch „Galileos Tochter“ die Geschichte schlicht übernommen, Galileo habe die Fallgesetze dadurch belegen wollen, dass er Gegenstände vor Kritikern vom schiefen Turm von Pisa habe herunterfallen lassen.

Vieles andere, etwa dass auch die Leminge keinen kollektiven Selbstmord begehen, kann man hier nachlesen. Aber halt, haben nicht auch die, die diese angeblichen Gerüchte in die Welt gesetzt haben, behauptet, es genau und sicher zu wissen?? Glaube jeder, was er/sie mag – no worries!

Ur-Tanz

Wie bereits erwähnt, habe ich eine 16 Monate junge Nichte. Was mir an kleinen Kindern unter vielem anderem so gut gefällt, ist die Tatsache, dass sie Dinge tun, die nicht durch irgendwelche Regeln bestimmt sind. Es gibt in ihrem Kopf kein ‚das macht man halt so‘, und das is ne Basis für echte Kreativität. Eine Sache, die Zusammensein mit Kindern so schön macht und wodurch wir Großen oft etwas neidisch werden können.
So ist es etwa auch sehr schön mit anzusehen, wie sie auf bestimmte Töne oder Musik reagiert. Sie will Musik haben, fordert es immer mal zwischendurch. Und wenn sie richtig von dem, was sie hört, ergriffen wird, dann beginnt sie zu tanzen. Von außen betrachtet sieht es immer so aus, als würde wirklich ein Schalter in ihr betätigt, denn egal ob sie gerade einfach geht, trinkt, spielt oder sich augenscheinlich auf andere Dinge konzentriert, wenn sie tanzen muss, dann muss sie eben tanzen, und dann kann sie auch nix davon abhalten. Am ehesten passiert das bei Musik oder Tönen, die quasi live von irgendjemandem hier im Haus gemacht werden. Das allerschönste dabei ist ihr Tanzen selbst, wobei es schon eine Entwicklung nachzuzeichnen gibt:
Die ersten Tänze waren von kurzem und ruckartigem in-die-leichte-Kniebeuge-fallen geprägt. Dieses im Takt wiederholt und mit ihren neugierig blickenden Augen ist ein wahrer Genuss. Dabei habe ich immer den Eindruck, dass sich die Neugier nicht ausschließlich auf die Musik richtet, die sie eben hört. Ich glaube, sie ist gefangen von der ganzen Situation und ihre Aufmerksamkeit und Neugier wird in gleichem Maße von ihr selbst bzw. ihrem Körper gefangen. Ein Naturwunder, das sie gerade entdeckt: ‚ich beginne zu tanzen wenn diese mehr oder weniger geordneten Geräusche kommen‘.
Es blieb nicht bei dieser einen Tanzbewegung. Nach einiger Zeit hatte es auch den Oberkörper erfasst und sie begann eine Art Flatterbewegung mit leicht abgespreizten Armen zu machen. Erst nur getrennt, mal Kniezucken, mal Armflattern, aber dann auch mal in Kombination. Mich hat es manchmal an ein Huhn erinnert, das gern mal fliegen will, es aber einfach noch nicht schafft. Obwohl kein Moment der Verzweiflung zu sehen war, sondern die Freude nur noch größer zu werden schien, vielleicht einfach dadurch, dass jetzt viel mehr Körper aktiviert ist und gößere Bewegungen auch größere Effekte verursachen können. Vielleicht fliegt sie ja dabei doch auf eine bestimmte Weise.
Nun gut, eine letzte Stufe fehlt noch und diese legt nahe, dass mein Eindruck mit dem Versuch zu Fliegen nicht so gefehlt war. Sie findet Gefallen an diesem Armflattern und beginnt dazu zu rennen. Eben so wie ein Flugzeug, und bissi hebt sie dabei bestimmt auch ab… Neben der Tatsache, dass sie zu tanzen beginnt, wenn Musik ertönt, entdeckt sie anscheinend auch noch, dass ihr dieses Tanzen gut tut. Ich glaube, sie hat noch nie ein Flugzeug oder einen Vogel bewusst wahrgenommen, aber sie weiss schon, wie sie sich selbst in die Höhe bringt und macht es einfach wenn ihr danach ist. Wie schön und beneidenswert!