Das Ohr und sein Kind

Ich bin derzeit in Gesprächen mit einem Unternehmer im IT-Bereich, für welchen ich eventuell einen Auftrag annehme. Alles ist noch nicht sicher und bis ins Detail geklärt, weshalb wir uns derzeit regelmäßig zu Gesprächen treffen.

So auch gestern. Ich war in seinem Geschäft in der Innenstadt, das er Ende letzten Jahres dort eröffnet hat, und wir haben uns gegenseitig unsere Vorstellungen klar gemacht. Wie das bei so einer Neueröffnung sicher üblich ist, so hat er derzeit recht viel zu tun und weiß bestimmt manchmal nicht ganz, wo ihm der Kopf steht. So sah er gestern auch aus: er war unrasiert – bestimmt schon fünf Tage – und die Zeit, seine vom Schlaf am Hinterkopf abstehenden Haare zu glätten, hatte er anscheinend auch noch nicht gefunden. Dennoch ist er natürlich bedacht, sich kompetent und ein wenig elegant zu präsentieren, was man an seinen Klamotten, an Hemd, Hose und Jackett sehen konnte. Er bot allerdings eine sehr eigenartige und zum Schmunzeln anregende Erscheinung mit seiner Mischung aus wohlverpacktem Körper auf dem ein wüster Kopf saß.

Natürlich passiert es in einem Laden, dass Kunden hereinspazieren. Als ein junger Mann den Raum betrat und fragte, ob hier sein Problem mit seinem Mainboard gelöst werden kann, da stand er auf, begrüßte ihn natürlich und informierte ihn mit einer Mischung aus kompetent klingenden Fachbegriffen und kumpelhaften, ortsdialogischen Wörtern. Alles sehr gut, wie ich fand, nur dass er auch bei seinem Gesprächsverhalten eine ähnliche Mischung bot, wie bei seinem Erscheinungsbild: während des Gespräches führte er seinen Finger so ganz nebenbei in sein rechtes Ohr, drehte ihn und drückte ihn fest hinein, zog ihn wieder heraus, betrachtete die Fingerkuppe und schnalzte ein kleines gelbliches etwas auf den Fußboden. Bei alldem ließ er sich nicht aus seinem Redefluss bringen und er hatte den Kunden letztlich dazu gebracht, seinen Rechner noch gestern Abend in den Laden zu bringen um sein Problem zu beheben.

Ob er mich danach besser verstanden hat, weiß ich nicht, aber er hatte ein offenes Ohr für meinen Weg zum Ziel und ich konnte ihn davon überzeugen.

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