Das ver-man-te Gesetz

Neulich Abends habe ich mich recht sinnleer von der Flimmerkiste im Wohnzimmer berieseln lassen. Ich verfolgte einen Bericht über eine Frau um die 50, die sich daran machte, ihre leibliche Mutter zu finden. Sie hatte im Schulalter bereits erfahren, dass sie adoptiert wurde und bisher noch keinen Versuch getan, ihre Eltern zu finden.

Unwichtig die Frage, die zwangsweise kommt: Wenn überhaupt, dann wieso erst jetzt. Entweder hat dies Hintergründe, die ich als Zuschauer nicht kenne und möglicherweise gar nicht kennen soll, aber bei der Verfilmung privater Schicksale bleiben ja gerne solche ‚vernünftigen‘ Fragen offen. Sinn oder Sinnlosigkeit solcher Sendungen will ich aber jetzt gar nicht hinterfragen.

Etwas anderes ist mir an dieser Frau aufgefallen, was ich auch aus meiner Umgebung kenne. Viele Menschen reden über sich in der verallgemeinerten ‚man‘-Form. Speziell bei ihr waren dies Antworten auf Fragen wie „hast du Angst vor dem Treffen?“, „bist du nervös, zittern deine Knie?“, „kannst du deine Mutter jetzt verstehen?“ usw. Sie sagte in etwa: „Man hat da schon eine große Ungewissheit…man schiebt sowas halt doch ganz schöne Zeit vor sich her…man bekommt nasse Handflächen…da werden einem die Knie doch auf einmal weich…nachdem, was sie erzählt hat, kann man das schon verstehen…

Wieso sagt sie nicht einfach ‚ich‘? Auch wenn mir das schon oft begegnet ist, so richtig darüber nachgedacht habe ich noch nie. Dadurch aber, dass diese Frau so extrem ver-man-t war, ist es wie von selbst deutlich geworden. Dadurch, dass sie die Einstellungen und Haltungen, die ja eigentlich ihre ganz persönlichen sind, verallgemeinert hat, hat sie sie quasi zu einem Gesetz gemacht. Sie ist sich so unsicher, möchte vielleicht nicht gerne hinterfragt werden, und macht genau dies dadurch dem Zuhörer schwerer. Wenn jemand sagt, dass man etwas halt so macht, dann bedarf es mehr Kraft, zu hinterfragen, als wenn in der ersten Person gesprochen wird.

Ich werde mich und andere genauer beobachten und schauen, ob ich noch andere Theorien finde. Bestimmt sind die meisten Menschen weder bewusste man-Sager noch bewusste man-Vermeider. Wo gehört ihr hin?

4 Gedanken zu „Das ver-man-te Gesetz

  1. Rotfell

    man ist sich doch nie sicher, wozu man gehört! ^^ Keine Ahnung … die allgemeine Form baut eine gewisse Distanz zu dem persönlichen Themen auf, denke ich. Oder schafft vielleicht im Kopf des Erzählers eine Verbundeneinheit mit anderen, die auch unter das anonyme „man“ fallen. „Man“ ist dann so wie „jeder versteht, wenn ich sage, daß ich…“ zu verstehen.

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  2. Iwi

    Stimmt, es schafft eine gewisse Distanz zu den persönlichen Themen und eine Verbundenheit mit den anderen „mans“. Sehr treffend, finde ich, und so könnte man sagen: gemeinsam ist der Erzähler stark. Und wir landen wieder bei einer Unsicherheit, die dahinter liegt.

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  3. Etosha

    Ich bin ein bewusster man-Vermeider – zumindest, wenn ich etwas transportieren will, das wirklich mich betrifft, meine persönlichen Empfindungen und Ansichten. Es ist zwar leicht, sich hinter einem ‚man‘ zu verstecken – aber ich werde auch nicht so direkt verstanden und als Person, die ihre Meinung vertritt, ernst genommen, wenn ich es tue. Also vermeide ich es, wenns geht.
    (Lernt man *g* in beinah jedem Kommunikationsseminar oder entsprechender Literatur.)

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