g e d e h n t

Komisch. Eigentlich wollte ich gerade anfangen, über das Buch, das ich gerade lese, zu schreiben. Das Buch heißt „Der gedehnte Blick“ und der Autor ist Wilhelm Genazino. Ich hatte vor, die Sachen, die er schreibt, etwas zu kritisieren. Es ist eine Sammlung von literarischen Essays und ich finde seine Ansätze, die ihn zum Verfassen eines Textes bringen, also die Gedanken, die zur Geburt der ersten Zeilen führen, sehr interessant. Etwa die Fragestellung, wie sehr die allgegenwärtigen Plastikstühle auf den Terassen von Cafés und Restaurants einen Urlaub kaputt machen können, allein durch die Tatsache, dass sie so vertraut und heimisch sind. Oder aber in welcher Weise ältere Menschen, die in Volksmusikparaden sitzen und in ihrer Reise in die kitschige Blumenwelt des Schlagers so weltfremd erscheinen mögen, auf den zweiten Genazino-Blick vielleicht mehr mit sich selbst vertraut und die besseren Lebenskünstler sind, als man das zunächst glauben mag.
Jedoch hatte ich vor, seine Texte gleichzeitig zu bemängeln. Der erste Schritt in seine Gedanken ist, wie gerade beschrieben, ein schöner, einer, der Erwartungen weckt und auch anschiebt, weiterzulesen. Doch dann hatte ich so das Gefühl, dass der Höhepunkt schon überwunden war. Irgendwie hatte ich oft etwas vermisst. Vielleicht war die Originalität der Ausarbeitung des Gedankens im Vergleich zu der der Entstehung desselben recht jämmerlich. Am Ende eines solchen Textes liegt mir ein ‚ja, und?‘ auf der Zunge und ich fühle meine Erwartungen unerfüllt.

Aber wie anfangs gesagt, das war meine erste Intention, hier einen Text zu tippen. Als ich aber vor dem ersten Wort so darüber nachgedacht hatte, was ich eigentlich kritisieren wollte, hab ich mir nochmal die bisher gelesenen Texte durch den Kopf gehen lassen und hatte dabei das Gefühl, dass es ein schönes Erlebnis war, sie zu lesen. Vielleicht ist es ja Genazinos Absicht, diese Erwartung zwar zu wecken, aber sie dann nicht zu erfüllen, quasi keinen Schlussgedanken vorzugeben. Er begeistert mich für die Fragestellung und hat doch damit schon vieles erreicht.

Wenn also zufällig jemand das Buch auch liest oder gelesen hat, dann würd ich gern mal die Meinung hören! Bissi gut muss der Genazino ja mindestens sein, immerhin hat er letztes Jahr den Georg-Büchner-Preis erhalten…

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